Themen für die Teamarbeit

Das Voynich-Manuskript ist auf so vielen Ebenen geheimnisvoll, dass man eigentlich gar nicht weiß, wo man bei seiner Analyse anfangen soll. Je nach Start- oder Schwerpunkt der Analyse benötigt man Wissen aus völlig unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen. Die für die Teamarbeit zu vergebenen Themen decken einige dieser Bereiche ab und werden zu Anfang des Kurses an Teams aus +/- drei Studierende vergeben. Die Teams haben die Aufgabe, bis Anfang Januar 2021 Videos zu produzieren, in denen die für die Teams definierten Fragestellungen behandelt werden (man kann ggfs. auch - nach Absprache - darüber hinaus gehen). Drei Sitzungen der Veranstaltung sind für Teambesprechungen reserviert, in denen die Fortschritte berichtet und aufgekommene Fragen erörtert werden sollen. Die Videos sollen zwischen 25 und 40 Minuten lang sein. Bestandteil der Aufgaben ist jeweils auch die Nutzung mindestens eines digitalen Tools und die Abgabe der damit erzielten Ergebnisse. Wird von einzelnen Teammitgliedern eine Prüfungsleistung im Rahmen der Übung angestrebt, ist diese im Idealfall eine weitere Ausarbeitung der Methoden und Ergebnisse sowie deren schriftliche Dokumentation bis Ende März 2021.


1. Geschichte/Paläographie: Ein oder mehrere Schreiber|innen?

Bereits 1976 mutmaßte Prescott Currier, dass das Voynich-Manuskript nicht nur von einer Hand geschrieben wurde, sondern dass mindestens zwei, wenn nicht sogar mehr Personen an der Erstellung des VMS beteiligt waren. Currier stellte sowohl Unterschiede im Schriftbild einzelner Zeichen, als auch in der Frequenz der Verwendung bestimmter Wörter fest. Wir könnten es daher nicht nur mit verschiedenen Schreiber|innen, sondern auch mit verschiedenen Sprachen oder zumindest Dialekten zu tun haben. Die Paläographin Lisa Fagin Davis veröffentlichte im Sommer 2020 ihre Studien zu verschiedenen Schrifttypen im VMS und geht von fünf verschiedenen Schreiber|innen aus. Für ihre Analyse nutzte sie die Paläographie-Software Archetype.

Aufgaben:

  • Stellen Sie vor, wie Currier und Davis vorgegangen sind und zu welchen Ergebnissen sie kamen.
  • Sind die Ergebnisse allgemein übernommen worden oder finden Sie Gegenpositionen, die von nur einer Person ausgehen, die das VMS erstellte?
  • Stellen Sie die Funktionen der Software Archetype anhand von Seiten aus dem VMS vor. Vielleicht gestattet Ihnen Lisa Fagin Davis Zugriff auf ihr Projekt, an dem Sie noch arbeitet (laut Veröffentlichung hat sie es in einem Docker-Container). Erstellen Sie ansonsten ein eigenes Projekt, an dem Sie die Schlussfolgerungen von Fagin Davis nachvollziehen können.

Ressourcen:


2. Geschichte/Kodikologie: Das Pergament und die Anordnung der Seiten.

Das Material, auf dem gezeichnet und geschrieben wurde, ist im Fall des Voynich Manuskripts Pergament, also Tierhaut. Bei organischem Material lässt sich mit der Radiokarbonmethode (auch C14-Methode genannt) das ungefähre Alter bestimmen. Diese Bestimmung wurde 2009 von Wissenschaftlern der Chicagoer Universität durchgeführt. Heraus kam, dass das Pergament vermutlich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hergestellt wurde.

Die Herstellung des Pergaments ist aufwendig und teuer. Das Voynich-Manuskript weist einen beträchtlichen Umfang auf, es besteht aus mehreren Lagen (Quires), die meist mehrere Blätter (Folia) enthalten, die wiederum aus mehreren Seiten bestehen können. Die Benennung dieser Seiten folgt einem System, das auch für andere Manuskripte angewendet wird (Referenz der Folio-Nummer, recto oder verso, ggfs. weitere Spezifikationen). Für die Visualisierung der Anordnung der einzelnen Betstandteile im Manuskript kann man z.B. die Software VisColl nutzen.

Aufgaben:

  • Stellen Sie kurz alles Wichtige vor zum Thema Pergament vor: Geschichte, Herstellung, Besonderheiten.
  • Zeigen Sie anhand des VMS, was mit Folio, Quire, Foldout gemeint ist. Welche Nummerierung finden wir im VMS? Was lässt das bezüglich seiner Vollständigkeit vermuten?
  • Erklären Sie kurz, wie die C14-Methode funktioniert und stellen Sie vor, wie das McCrone-Institut bei der Analyse vorgegangen ist. Was lässt sich zur Sicherheit der C14-Methode für die Datierung sagen?
  • Visualisieren Sie mit VisColl die Anordnung der Seiten im VMS.

Ressourcen:


3. Biologie/Botanik: Pflanzenkunde im Mittelalter

Neben dem Text, den niemand lesen kann, finden sich im Voynich-Manuskript auf fast jeder Seite Zeichnungen, die zwar zunächst zugänglicher als der Text erscheinen, aber bei genauerer Analyse aber auch wieder Rätsel aufgeben. Zumindest lässt sich das VMS durch die unterschiedlichen Zeichnungen in verschiedene Teile gliedern. Der bei weitem umfangreichste Teil wird der Botanische genennt, weil auf diesem seitengroße Pflanzen zu finden sind, um die herum Textblöcke arrangiert sind.

Zur Identifikation der Pflanzen erschienen mehrere, sich stark widersprechende Arbeiten. Die erste bekannte stammt von Hugh O’Neill aus dem Jahr 1944. Er meinte, Sonnenblumen und Spanischen Pfeffer, also zwei Neuweltpflanzen identifiziert zu haben. Diese Analyse hat bezüglich der Altersbestimmung des Manuskripts ein Problem, das Tucker und Talbot auf bemerkenswerte Weise lösen. Diese Lösung hat allerdings Konsequenzen, die bisher kaum ein anderer VMS-Forscher mitgetragen hat.

Aufgaben:

  • Verschaffen Sie sich einen Überblick zu Pflanzendarstellungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (z.B. aus Collins) und stellen Sie dar, wie sich diese entwickelt haben.
  • Was lässt sich auf dieser Basis zu den Pflanzendarstellungen im VMS sagen?
  • Skizzieren Sie kurz die Ergebnisse, zu denen Tucker und Talbot gelangen. Wieso sind diese problematisch?
  • Geben Sie eine Übersicht zu den verschiedenen Pflanzen-Zuordnungen, die bisher gemacht wurden. Was bezeichnet man im VMS als Labels? Weshalb hofft man, dass man über die Identifikation der Pflanzen eine Mögichkeit hat, der Bedeutung des Textes näher zu kommen?
  • Bauen Sie einen Prototypen, der eine solche Übersicht visualisieren kann.

Ressourcen:


4. Semiotik/Graphemik: Wie identifiziert man Zeichen?

Spätestens, seit man mit Computern automatisierte Auswertungen von Zeichenketten vornehmen kann, gibt es die Bestrebung, die Handschrift des VMS in einzelne Zeichen zu zerlegen und diesen standardisierte Codes zuzuweisen. Der erste Ansatz wurde von Friedman und seiner First Study Group zum VMS in den 1940er Jahren entwickelt. Einen eigenen, abweichenden Vorschlag machte Prescott Currier in den 1970er Jahren. In den 1990er Jahren wurde mit dem Extensible Voynich Alphabet (EVA, Landini und Zandbergen) ein System geschaffen, in das alle vorherigen Ansätze integriert werden konnten. Mit v101 veröffentlichte Glen Claston in den 2010ern ein weiteres Transliterationsalphabet, das bestimmte Vorteile hat, aber (bisher) nicht integriert werden konnte.

Aufgaben:

  • Stellen Sie die verschiedenen Ansätze zur Transliteration des VMS-Textes vor. Was sind die wichtigsten konzeptuellen Unterschiede?
  • Welche Metadaten und welche Transliterationen sind im Interlinear Archive File codiert? Zeigen Sie, wie diese im Voynich Information Browser zur Extraktion bestimmter Textabschnitte genutzt werden können.
  • Wie könnte eine erweiterte Transliteratonsressource zum VMS aussehen? Welche Arbeiten stünden dafür an? Kann ein Tool wie die DECODE Database dafür nützlich sein?

Ressourcen:


5. Linguistik/Morphologie: Weshalb sind die Wörter so einzigartig?

Die Unzugänglichkeit des Voynich-Textes liegt weniger an den genutzten Zeichen, mehr an der Art und Weise, wie sie kombiniert wurden. Im Manuskript lässt sich unschwer erkennen, dass es eine Art von Wortmodell gibt, da sich Spatien ausmachen lassen. Es ist schon ziemlich früh aufgefallen, dass die Wörter sich auf seltsame Art ähnlich sind, sich aber eine ganze Reihe Eigenschaften beschreiben lassen, die sich bei natürlichsprachlichen Wörtern so nicht finden.

Aufgaben:

  • Arbeiten Sie die Eigenschaften heraus, welche die Voynich-Wörter so besonders machen. Gehen Sie dabei sowohl auf ihren inneren Aufbau, als auch auf ihre Distribution ein.
  • Erläutern Sie die Begriffe Entropie und Kookkurenz und ihre Berechnung.
  • Diskutieren Sie Ansätze, welche die seltsamen Eigenschaften des Textes auf Wortebene erklären könnten.
  • Stellen Sie die Funktionalität der TextGeneratorApp vor. Was kann man mit ihr verdeutlichen?

Ressourcen:


6. Sprachphilosophie: Die Suche nach einer universalen Sprache.

William Friedman (einer der führenden Kryptologen des 20. Jahrhunderts, der eine Gruppe von Expert|inn|en anführte, die einen strukturierten Versuch unternahmen, hinter die Geheimnisse Voynich Manuskript zu kommen) hinterließ der Welt ein Anagramm "I put no trust in anagrammatic acrostic cyphers, for they are of little real value — a waste — and may prove nothing — finis.", das - wie das Anagramme so an sich haben - nicht eindeutig gelöst werden konnte. Elisabeth Smith Friedman - die ebenfalls Mitglied der Expertengruppe war - gab aber nach dem Tod ihres Mannes preis, dass er ihr folgende Lösung verraten hatte: "The Voynich Manuscript was an early attempt to construct an artificial or universal language of the A-Priori type.—Friedman."

Sollte dem Text des VMS tatsächlich eine Kunstsprache a priori zugrunde liegen, würde dies einerseits die kruden statistischen Eigenschaften des Textes und andererseits die bisher stets gescheiterten Entschlüsselungsversuche erklären können. Problematisch ist allerdings, dass Entwürfe derartiger Kunstsprachen erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bekannt sind.

Aufgaben:

  • Recherchieren Sie die Klassifikation und Geschichte von Kunstsprachen und geben sie einen kurzen Überblick dazu, mit besonderem Augenmerk darauf, was a-priori- von a-posterio-Ansätze unterscheidet. Was lässt Friedman vermuten, dass ein Kunstsprachentwurf etwas mit dem VMS zu tun haben könnte? Und was lässt sich dazu sagen, dass a-priori-Sprachentwürfe erst seit Ende des 17. Jahrhunderts bekannt sind?
  • Stellen Sie den Entwurf von Wilkins zu einer Universalsprache dar. Was war seine Motivation für deren Erstellung?
  • Schauen Sie sich die Sprache Ro an (oder suchen Sie sich einen anderen a-priori-Sprachentwurf aus). Der Aufbau der Wörter ist sehr regelmäßig und korrespondiert mit ihrer Bedeutung. Überlegen Sie sich eine Datenstruktur, in die ein solches Lexikon überführt werden könnte, so dass den Ähnlichkeiten der Ausdrucks- und der Inhaltsseite auch strukturell Rechnung getragen wird.

Ressourcen:

  • Kurzübersicht: Hermes (2012): Textprozessierung - Design und Applikation (109ff) - bei KUPS
  • Eigene Recherche: Kunstsprachen a priori und der Entwurf einer Universalsprache von Wilkins.
  • Strasser, Gerhard: Lingua Universalis: Krypologie und Theorie der Universalsprachen im 16. und 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Forschungen, im Präsenzbestand der USB)
  • Ro Dictionary - https://sorabji.com/r/ro/

7. Theologie/Mystik: Henochisch, die Sprache der Engel?

(Zusätzliches Thema, wird ausgearbeitet, wenn die anderen vergeben und noch nicht alle Teilnehmer|innen versorgt sind)

Stichworte: Dee, Kelley, Rudolf II, Scharlatanerie